Die Fakten waren – wie so oft in diesen Fällen – tragisch. Die Frau des Antragstellers litt seit einiger Zeit unter einer totalen sensomotorischen Tetraplegie, d.h. sie war fast vollständig gelähmt und völlig von Pflegekräften abhängig. Sie wollte Selbstmord begehen und wandte sich daher an die zuständigen Behörden, um die Erlaubnis zu erhalten, etwas Pentobarbital aus Natrium zu erhalten (andernfalls für tödliche Injektionen in den Vereinigten Staaten verwendet). Ihr Antrag wurde abgelehnt. Schließlich beging sie in der Schweiz Selbstmord, wo das Gesetz ihren Wünschen besser nachkam.
Ihr Mann versuchte, das von seiner Frau (und sich selbst) eingeleitete Gerichtsverfahren fortzusetzen. Sein Fall wurde auf allen Ebenen, auch durch das Bundesverfassungsgericht, für unzulässig erklärt (Az. 1 BvR 1832/07). (Nur das Gericht in erster Instanz fügte hinzu, obiter, dass der Ehemann auch in der Sache versagt hätte, da die Zurückhaltung des Giftes rechtmäßig war.) Die Gerichte stellten fest, dass der überlebende Ehemann sich nicht auf die Rechte seiner verstorbenen Frau berufen konnte. Insbesondere seine Rechte aus dem verfassungsmäßigen Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) gaben ihm nicht die Möglichkeit, die Frage anzusprechen, ob seiner Frau das Recht eingeräumt werden sollte, das Medikament zur Beendigung ihres Lebens zu erhalten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte war zumindest im Ergebnis nicht einverstanden. Sie schloss sich der Analyse der deutschen Gerichte an, in der sie feststellte, dass sich der Antragsteller nicht auf die Rechte seiner verstorbenen Frau nach der EMRK als solche berufen könne. Sie stellte jedoch fest, dass die eigenen Rechte des Antragstellers nach Artikel 8 EMRK geltend gemacht wurden. Er war seit 25 Jahren mit seiner Frau verheiratet und hatte während ihrer Bemühungen, ihr Leben zu beenden, für sie empfunden. Dementsprechend ist aufgrund der „außergewöhnlich engen Beziehung zwischen dem
Antragsteller und seine verstorbene Frau und seine unmittelbare Beteiligung an der
Verwirklichung ihres Wunsches, ihr Leben zu beenden“, stellte das Gericht fest, dass der Antragsteller selbst von der Entscheidung über den Zugang seiner Frau zu tödlichen Medikamenten unmittelbar betroffen war (Randnr. 50).
Das Gericht hat nicht entschieden, ob die Klägerin ein Recht darauf hatte, dass ihrer Frau beim Selbstmord geholfen wird (solche Hilfe liegt in der Lieferung der Drogen). Er bekräftigte, dass zwischen den europäischen Staaten kein Konsens über das Recht auf Beihilfe zum Selbstmord besteht, und verzichtete daher darauf, sich in diesem Fall zur wesentlichen Frage eines solchen Rechts zu äußern. Der Gerichtshof hat jedoch den verfahrensrechtlichen Aspekt von Artikel 8 EMRK geprüft. Dies setzt voraus, dass Fragen nach Artikel 8 EMRK von den Gerichten angemessen berücksichtigt werden. Sie verlangt auch, dass jeder Fall für sich allein betrachtet wird, wobei wenig Raum für eine Einheitsbehandlung nach harten und schnellen Regeln zur Verfügung steht (vgl. Anayo vs. Deutschland und Schneider vs. Deutschland, vgl. Abs. 53 von Koch). Die Verletzung der Rechte von Herrn Koch lag daher nicht in der Zurückhaltung des Giftes als solches, sondern in der Weigerung der deutschen Gerichte, sich mit dem Fall von Herrn Koch in der Sache zu befassen (Ziffer 72 von Koch).
Was bedeutet diese Beteiligung nun für die inhaltliche Frage des Rechts auf begleiteten Selbstmord?
Dies bedeutet zunächst, dass die deutschen Verwaltungsgerichte (falls sie sich an sie wenden, was sehr wahrscheinlich ist) den Fall erneut aufrollen und ihn in der Sache prüfen müssen. Die Zuständigkeit für die Wiedereröffnung ergibt sich aus § 153 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz, gelesen mit § 580 Nr. 8 ZPO, wobei die Entscheidung in der Rechtssache des Antragstellers erst nach Inkrafttreten dieser Bestimmungen rechtskräftig geworden ist (31. Dezember 2006; § 35 ZPO-Einführungsgesetz).
Im Wesentlichen hat der Straßburger Gerichtshof die Debatte jedoch nicht wesentlich verschoben. Sie hat ihren früheren Standpunkt sicherlich nicht dahingehend geändert, dass es kein Recht auf Beihilfe zum Selbstmord nach Artikel 2, Artikel 3 oder Artikel 8 gab (Pretty vs. Großbritannien, paras 40, 56, 78). Im Gegenteil: Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass es in dieser Angelegenheit keinen europäischen Konsens gibt: Koch, Paragraph 70.
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